Marienverehrung im Alltag

Warten können


Das liturgische Kirchenjahr beginnt mit der Adventzeit. Der Advent hat einen Charakter der Erwartung und ist gleichzeitig eine liturgische Zeit, in deren Mittelpunkt Maria, die Frau der Erwartung, steht (vgl. Marialis cultus, 4). Sie wird als Mutter gesehen, die dem Wort Gottes Raum in ihrem Schoß bietet, damit es Mensch werden kann. In ihr erfüllt sich die lange Wartezeit auf den verheißenen Messias, der als Jesus Christus, der Sohn Gottes und Mariens, in diese Welt kommt. Viele Propheten des Alten Bundes nährten im Volk die Sehnsucht nach diesem Messias und sorgten dafür, dass die messianische Hoffnung in den Herzen der Menschen nicht erlosch. Maria selbst glaubte an die Ankunft des Messias so sehr, dass sie sich zur Verfügung stellte, seine Mutter zu werden. Das Warten hat für Maria plötzlich eine andere Tiefe bekommen. Aus einem allgemeinen unbestimmten Warten ist eine konkrete und zeitnahe Erwartung geworden. Es macht für den Menschen wohl einen Unterschied, ob man auf jemanden oder auf etwas wartet, ohne zu wissen, wann der Zeitpunkt der Begegnung oder des Sich-Ereignens eintrifft, oder ob man wartet mit dem Wissen, dass die Ankunft des Erwarteten unmittelbar bevorsteht. In den modernen Gesellschaften hat sich in diesem Zusammenhang auch eine Planungskultur entwickelt. Menschen, die den Lauf des Lebens und die Ereignisse in der Natur genau beobachteten, haben verstanden, dass in dieser Welt gewisse Wiederholbarkeit vorgegeben ist. Und wenn man weiß, dass nach dem Winter die Sommerzeit nahe ist, so kann man sich darauf auch entsprechend vorbereiten, sodass nicht alles dem Zufall überlassen wird.

Die Vorbereitung auf das, was erwartet wird, macht den Menschen zu einem aktiven Mitgestalter dessen, was kommen soll. Maria freut sich auf ihr Kind, nicht nur weil es ihr Kind ist, sondern weil durch ihr Kind viele Menschen ein neues Leben erfahren werden. Ihre aktive Erwartung des Messias wird bereits in ihrem Besuch bei Elisabeth erkennbar: Sie zieht durch Berg und Tal und eilt mit der frohen Botschaft zu  ihrer Verwandten. Maria wird eine Art Vorwegnahme der missionierenden Tätigkeit Christi, wenn er selbst später das Evangelium im ganzen Land verkünden wird. Der Mensch kann aber auch  passiv warten, in dem er einfach kommen lässt, was kommen mag. In diesem Sinne erübrigt sich jedes Planen, der Mensch lebt eher ziellos, fühlt sich nicht genug motiviert für das, was er zu tun hat und hofft auf eine Erfüllung seiner Wünsche, die aber ohne sein Zutun nie eintreffen wird. Nach dem Tode Jesu lebt Maria mit den Jüngern eine andere Zeit der Erwartung: Der Heilige Geist soll ihnen gesandt werden und sie stärken. Die Zeit seiner Ankunft ist ihnen aber nicht bekannt. Aber sie bleiben nicht passiv in ihrem Warten, sondern tun es so, wie sie es von Jesus gelernt haben. Sie bilden eine Gemeinschaft des Gebetes und ermutigen sich gegenseitig in der Nachfolge Jesu durchzuhalten. Genau in diesem Klima wird die Ankunft des Heiligen Geistes für alle erfahrbar.

Das Warten-Können gehört zum Menschsein, jedoch unsere Welt, die sich zumindest wirtschaftlich rasch zu entwickeln scheint, entmenschlicht sich, insofern das Warten kaum toleriert wird. Wo immer wir auch kommen, gehen wir davon aus, nicht warten zu müssen und sofort daran zu sein, z.B. beim Arztbesuch oder bei der Kassa im stark frequentierten Warenhaus. Die Errungenschaften unserer Zeit versuchen uns einzureden, dass alles und sofort möglich ist. Jedoch in den schlichten zwischenmenschlichen Beziehungen ist es ganz anders. Jeder Mensch kennt die Situation, wenn man sich danach sehnt eine geliebte Person zu treffen, bzw. von dieser besucht zu werden. Da helfen uns keine Beschleunigungssysteme, sondern es bleibt nur zu warten und zu hoffen, dass es zu dieser Begegnung kommt. Die Leute in den Heimen für Betagte kennen allzu gut dieses Gefühl. Worum geht es also, wenn man als Marienverehrer die Jungfrau der Erwartung betrachtet? Es bedeutet vor allem eine ausgeglichene Lebenshaltung zu üben, indem ich mich nicht vom Trend der Schnelllebigkeit mitreißen lasse, indem ich mir Zeit nehme, um meine Bedürfnisse, Beziehungen, Gepflogenheiten oder Lebensziele zu reflektieren und sie mit meiner Gesundheit und meinen Möglichkeiten abzustimmen. Die Mutter Jesu kann uns als Symbolfigur und Inspiration zu einer Entschleunigung ermutigen und uns wieder auf die wertvolle Lebensdimension des Warten-Könnens aufmerksam machen.

fr. Fero M. Bachorík OSM